Klimarisiken im Öffentlichen Personennahverkehr
Klimarisiken können abhängig von Branche und Wertschöpfungskette sehr unterschiedlich sein. In den nachfolgenden Bereichen stellen wir eine Auswahl an Informationen rund um das Thema »Physische und Transitorische Klimarisiken« im Kontext des ÖPNV dar. In den Erklärungsabschnitten finden sich Basisbegrifflichkeiten und Beispiele für eine erhöhte Verständlichkeit. In den nachfolgenden Abschnitten werden Hilfsmittel, Netzwerke und eine Auswahl an wesentlichen Klimarisiken erläutert. Die Auswahl der wesentlichen Klimarisiken resultiert aus Studien und Interviews mit Branchenexpertinnen und -experten.
Als akute, physische Klimarisiken gelten die zunehmenden Wahrscheinlichkeiten klimawandelbedingter Extremwetterereignisse und deren Folgen.
Beispiele sind:
- Starkregenereignisse und Überschwemmungen können die Verkehrsinfrastruktur beeinträchtigen und zu Unterbrechungen der Verkehrssysteme führen
- Starke Hitze schädigt die technische Infrastruktur zum Beispiel in Form von Materialschäden an Verkehrsleitsystemen und Stromversorgungsanlagen
Als chronische, physische Klimarisiken gelten grundlegende und langanhaltende Veränderungen klimatischer Bedingungen und deren Folgen.
Beispiele sind:
- Steigende Durchschnittstemperaturen führen zu gesundheitlichen Krankheitsrisiken der Fahrgäste wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Langanhaltende Trockenheit schädigt die Vegetation und führt zu dem Risiko von Unterbrechungen oder Beschädigung der Infrastruktur durch umgestürzte Bäume oder abgefallen Äste auf Straßen oder Schienen
Als technologische Klimarisiken gelten Risiken auf Grund des technologischen Wandels hin zu einer emissionsärmeren Wirtschaft.
Beispiele sind:
- Hohe Investitionsrisiken für den Umstieg auf einzelfallbezogene Technologien
- Aufbau einer Batteriebetriebenen Fahrzeugflotte, aufgrund von deutlich veränderten Reichweiten in Sommer und Winter
Als klimabedingte Markt(preis)risiken werden Risiken verstanden, welche aus Veränderungen von Angebot und/oder Nachfrage sowie sich verändernden Marktpreisen resultieren.
Beispiele sind:
- Erhöhte Betriebskosten aufgrund von Preisschwankungen bzw. -steigerung fossiler Brennstoffe
- Verschiebung von Verbraucherpräferenzen aufgrund neuer umweltfreundlicherer Transportlösungen wie z.B. Elektrofahrzeuge, -fahrräder oder -scooter
Als regulatorische, politische und/oder rechtliche Klimarisiken werden Risiken verstanden, welche primär auf Grund von politischen Maßnahmen zur Steuerung des Übergangs in eine emissionsärmere Wirtschaft entstehen.
Beispiele sind:
- Kapazitätsengpässe aufgrund steigender Anreize für den ÖPNV durch die Politik (9-Euro-Ticket)
- Hohe Investitionskosten für die Transformation, um Emissionsminderungsziele zu erreichen
Als klimabedingte Reputationsrisiken werden Risiken verstanden, welche aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung des Unternehmens und dessen Beitrag für den Klimaschutz resultieren.
Beispiele sind:
- Lange Ausfälle und Betriebsstörungen schaden der öffentlichen Wahrnehmung des ÖPNV und führen dazu, dass Fahrgäste auf individuelle Transportmittel umsteigen
Auf Basis von Interviews mit Verantwortlichen von kommunalen Versorgungsunternehmen, Veröffentlichungen in Nachhaltigkeitsberichten und der Recherche in Studien können folgenden Hilfestellungen zu physischen und transitorischen Risiken formuliert werden:
- Akute physische Klimarisiken: Sehr hohe Relevanz für den ÖPNV haben akute physische Klimarisiken. Extreme Wetterereignisse wie Starkniederschläge, Hochwasser, Stürme, Hagel, Schnee etc. können den Straßen- und Schienenverkehr direkt beeinträchtigen. Während unterspülte Straßen- und Bahndämme oder beschädigte Bauwerke direkte Schäden darstellen, zählen mögliche Folgen der Verkehrsunterbrechungen zu den indirekten Schäden.
Hochwasserereignisse beeinträchtigen sowohl den Schienenverkehr als auch den Straßenverkehr durch langandauernde Reparaturarbeiten sehr stark, da oft keine adäquaten Ausweichrouten existieren. Durch den zunehmenden Klimawandel steigt die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Ereignisse, was sie zu wesentlichen Klimarisiken der Branche macht. - Chronische physische Klimarisiken: Insbesondere die Folgenrisiken der klimatischen Veränderungen stellen ein wirtschaftliches Klimarisiko für die ÖPNV-Betreiber dar. Lange Trocken- und Hitzeperioden heizen Innenräume von Bussen und Bahnen oder Wartebereiche auf, sodass Fährgäste zunehmend gesundheitlichen Risiken, wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ausgesetzt sind. Dieser Effekt wird mit zunehmendem demografischem Wandel und einer damit älter werdenden Gesellschaft noch verstärkt. Die Befragungen zeigen, dass mit einer erhöhten Anzahl an Betriebsunterbrechungen gerechnet wird und es zu vermehrten Ausfällen kommen kann.
- Regulatorisches Klimarisiko: Regulatorische Risiken sind einer weniger hohen Relevanz zugerechnet, da aktuelle politische Maßnahmen und Förderungen den ÖPNV sehr stark unterstützen. Jedoch muss der ÖPNV durch Transformationsprozesse hinsichtlich emissionsarmen Beförderungsmöglichkeit dazu beitragen Emissionsminderungsziele zu erreichen. Durch die politischen Fördermaßnahmen wird der ÖPNV für Bürgerinnen und Bürger insbesondere monetär immer attraktiver. ÖPNV-Anbieter tragen das Risiko aus dem erhöhten Investitionsbedarf für den Anstieg der Fahrgäste und möglicher Überbeanspruchung vorhandener Transportkapazitäten.
- Technologische Klimarisiken: Erhebliche Kostenrisiken entstehen ÖPNV-Anbietern durch den Einsatz emissionsarmer Antriebstechnologien. Zur Erreichung von Klimazielen müssen konventionelle angetriebene Fahrzeuge ersetzt werden. Momentan lässt sich allerdings noch nicht genau bestimmen, welche Technologien (z.B. Brennstoffzelle oder Batterien) kosteneffizient dazu beitragen die Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen. Investitionen in falsche Technologien führen zu erheblichen wirtschaftlichen Risiken sowie zu möglichen Stranded Assets. Die richtige Antriebstechnologie hängt maßgeblich von dem zu betrachtenden Einzelfall ab.
- Marktrisiken: Aufgrund von hohen Potenzialen zur Einsparung von THG-Emissionen wird dem Mobilitätssektor ein großer Anteil bei der Erreichung der Klimaziele zugerechnet. Immer mehr nachhaltige, emissionsmindernde Mobilitätsprodukte werden auf dem Markt angeboten (auch von anderen kommunalen Unternehmen, bspw. den Stadtwerken), die mit ÖPNV-Dienstleistungen konkurrieren und dem Individualitätsanspruch vieler Bürgerinnen und Bürger eher entsprechen. Dazu gehören auf Mittel- und Langstrecke Elektrofahrzeuge (Eigentum und Sharing-Angebote) und auf Kurzstrecke Elektrofahrräder, Lastenfahrräder und E-Scooter.
- Reputationsrisiken: Besonders relevant sind Reputationsrisiken, falls Klimaanpassungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden. Lange Verkehrsausfälle und Betriebsunterbrechungen schaden der gesellschaftlichen Wahrnehmung der ÖPNV-Anbieter. Häufige Unterbrechungen aufgrund klimatischer Extremereignissen sorgend dafür, dass Fahrgäste auf alternative, zuverlässiger Verkehrsmittel umsteigen, wodurch erhebliche ökonomische Risiken für ÖPNV-Anbieter entstehen.
In den Gesprächen wurden einige Maßnahmen genannt, die bereits umgesetzt werden, um den Klimarisiken entgegenzuwirken. Nachfolgend sind drei Beispielmaßnahmen und deren Wirkung genannt:
- Begrünung und Verschattung: Haltestellen für Wartende werden begrünt und Verschatten, um die Hitzebelastung zu reduzieren
- Klimatisierung: Zur Reduktion der Hitzebelastung müssen Verkehrsmittel zunehmend mit Klimaanlagen ausgestattet sein
- Vegetationskontrolle: Einführung von Pflegearbeiten, um Bäume und Sträucher zurecht zu schneiden. Die verringert das Risiko von Unterbrechungen aufgrund von umgestürzten Bäumen nach Stürmen.
Nachfolgend sind Hilfsmittel und Tools benannt, welche bei der Identifikation und Bewertung von Klimarisken helfen können:
Klimaanpassung Mobilität und Verkehr
Ein Handlungsleitfaden, der den Handlungsbedarf verdeutlicht sowie Handlungsbereiche und Maßnahmen zur Anpassung des Personenverkehrs an dem Klimawandel aufzeigt.
Stadtklimasimulation mit PALM-4U
Ein Simulationstool vom Fraunhofer Institut, das es ermöglicht mikroklimatische Verhältnisse in Städte zu beurteilen
Studie »Vulnerabilität Deutschlands gegenüber dem Klimawandel«
Studie des Umweltbundesamt zur Beschreibung von gegenwärtigen und zukünftigen Wirkungsketten des Klimawandel auf verschiedene Wirtschaftsbereiche (Verkehr und Verkehrsinfrastruktur: S. 374 ff.)
Studie »Klimawirkungs- und Risikoanalyse in Deutschland«
Studie des Umweltbundesamtes mit detaillierten Risikobeurteilungen zu 13 Wirtschaftsbereichen (Verkehr und Verkehrsinfrastruktur: S. 85 ff.)
Wir möchten an dieser Stelle gern eine Übersicht zu passenden Netzwerken bzw. Kooperativen für sächsische, kommunale Unternehmen schaffen. Die Netzwerke und Kooperativen helfen dabei, mit den Herausforderungen des Klimawandels umzugehen.
Nationales Kompetenznetzwerk für nachhaltige Mobilität
Ziel des NaKoMo ist es, Kommunen, Länder und Bund untereinander und mit Experten und Stakeholdern deutschlandweit zu vernetzen. Dabei soll über bestehende Fördermöglichkeiten zum Aufbau einer modernen, nachhaltigen Mobilität informiert, bei der praktischen Umsetzung unterstützt und Kontakte hergestellt werden. So sollen die Kommunen für den Wandel hin zu einer nachhaltigen Mobilität unterstützt werden.
Effiziente Mobilität Sachsen
Ein Netzwerk zur Beratung, Information und Vermittlung von ÖPNV-Unternehmen, die sich bspw. mit der Transformation von fossilen zu alternativen Antriebskonzepten beschäftigen.
Zukunftsnetzwerk ÖPNV
Netzwerk für kommunale ÖPNV Unternehmen für Fragestellungen zur Klimaanpassung und Klimaschutz durch u. a. durch Veranstaltungen wie dem Klimakongress 2023 in Karlsruhe
Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV)
Der VDV ist ein aktiver Branchenverband des öffentlichen Verkehrs – im Dialog mit Politik und Wirtschaft. Im VDV sind Unternehmen des öffentlichen Personenverkehrs (ÖPV) und des Schienengüterverkehrs (SGV) organisiert. Ziel ist die gemeinsame Weiterentwicklung des ÖPV und SGV hinsichtlich Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Kundenorientierung vorangetrieben.